um 1530 | Bau der ersten, heute noch erhaltenen, Häuserzeile entlang der Schwanallee durch den Marburger Kaufmann Hermann Schwan |
1577 | Landgraf Ludwig von Hessen-Marburg erwirbt den Schwanhof |
1817 | Gründung der ersten Tabakfabrik durch Stephan Niderehe in Marburg-Weidenhausen |
1875 | Verlagerung der Produktion in den Schwanhof durch Peter Niderehe |
1894 | Stephan Niderehe & Sohn erhält als erstes Unternehmen dieser Branche den Eintrag eines geschützten Warenzeichens |
bis 1956 | Betrieb der Tabakfabrik |
seit 1956 | Vermietung der Räumlichkeiten |
seit 2000 | Umfangreiche Umbau- und Neubaumaßnahmen und Verbesserung der Gebäude und der Infrastruktur |
Die Geschichte der Stephan Niderehe & Sohn GmbH
Teil 1 – Stephan Niderehe & Sohn GmbH
Die Geschichte des Schwanhofs ist seit 1875 untrennbar mit der Geschichte der Tabakfabrik Stephan Niderehe und Sohn GmbH verbunden, ehemals einer der bedeutendsten Marburger Produktionsbetriebe. Ihr Gründer war Stephan Niderehe, der am 5. April 1772 in Bernkastel/Mosel geboren wurde. Er kam 1815 nach Marburg als Werkmeister in die Eberhardsche Tabakfabrik. Sein Lehrmeister Joh. Velten, Tabakspinner in Bernkastel, stellte ihm am 20. Juni 1816 folgendes Zeugnis aus:
„Stephan Niderehe, gebürtig allhier, von ehrbaren Eltern und derweilen wohnhaft in Marburg, hat mir als Lehrpursch zur Fertigung des Schnupftabaks sowohl, als auch des Rauchtabaks in geschnittenen und gerollten Waaren in Lehre gestanden und somit die bräuchlichen Lehrjahre ausgehalten und sich, wie es einem ehrbaren Lehrpurschen geziemt, mit Treue, Rechtschaffenheit und Geschicklichkeit betragen und diese Profession wohl erlernet, weshalb ich gegenwärtiges Certifikat und Lehrbrief der Wahrheit gemäß ausstelle, und ihm mitzuteilen schuldig bin“.
Stephan heiratet in Trier Margarethe Rosenbaum; dort wurde ihnen 1802 die Tochter Elisabeth und 1804 der Sohn Peter geschenkt. Mit den Kindern erwarb Stephan 1816 das Marburger Bürgerrecht, für das er sich offensichtlich jenes oben erwähnte „Führungszeugnis“ hat ausstellen lassen.
1817 schon gründete Stephan Niderehe die Tabakfabrik, war 1820 schon Hausbesitzer Weidenhausen 704 (Teil von Nr. 46) und brachte es durch Fleiß, unerhörte Sparsamkeit, Geschäftstüchtigkeit, Weitblick und Härte zu großem Ansehen. Sein Sohn Peter heiratete am 13. November 1831 Anna Dorothea, Tochter des Pfeifenbäckers Josef Oster vom Pilgrimstein. Peter trat als Partner in die Firma ein — daher der Name „Stephan Niderehe & Sohn“.
Stephan starb am 19. April 1855 in Marburg. 1875 verlegte sein fleißiger, schlichter, zäher Sohn Peter nach Erwerb des Schwanhofs die Fabrik von Weidenhausen 46 in den Schwanhof. Sie entwickelte sich zu einem Werk, dessen Produkte sich überall im Deutschen Reich „in Rauch auflösten“. Es erhielt 1894 vom Kaiserlichen Patentamt die Eintragung eines geschützten Warenzeichens, des ersten und ältesten deutschen Warenzeichens dieser Geschäftszweige. Am 1. Oktober 1875 übergibt Peter Niderehe die Firma und den Fabrikationsbetrieb in Form eines Erbvertrages für 50.000,00 Thaler an seine Söhne Wilhelm, Louis und Carl. Peter Niderehe scheidet aus dem Betrieb aus. Er führt jedoch in Weidenhausen bis zu seinem Tode im Jahre 1879 einen umfangreichen Tabakhandel auf eigene Rechnung weiter. Er ist Kunde seines früheren Betriebes und seiner Söhne.
Die Firma Stephan Niderehe & Sohn ist bisher als offene Handelsgesellschaft geführt und eingetragen. Die drei Inhaber und Besitzer beschließen am 16. April 1884 den ersten Gesellschaftervertrag, der die Rechte und Pflichten der Inhaber festlegt. Die Jahre bis zum Ende des 1. Weltkrieges sind von einer ständigen Aufwärtsentwicklung und des wirtschaftlichen Erfolges für die Firma und deren Inhaber gekennzeichnet.
Wilhelm Niderehe war die Führungskraft der drei Inhaber. Carl Niderehe hat sich vorwiegend um die Geschäftsverbindungen und den Ein- und Verkauf gekümmert. Er unternahm viele Reisen ins Ausland, unter anderem auch nach Amerika. Louis Niderehe war für die Fabrikation und den Arbeitsablauf im Betrieb zuständig. Bei den ausgedehnten Produktions- und Lagerstätten war es eine Selbstverständlichkeit, dass im Betrieb eigene Handwerker, Maurer und Schlosser tätig waren.
Durch Haltung von Pferdegespannen wurden alle Transportfragen von Roh- und Fertigwaren von und zur Bahn und Post, sowie die benötigten Baumaterialien, Holz, Kohle usw. gelöst. Die Voraussetzungen dafür waren durch Land und Wiesen als Futtergrundlage und Stallungen bestens gegeben. Die Familien Niderehe waren auch in den Haushalten durch diese Gegebenheiten in Brotgetreide, Gemüse, Kartoffeln, Obst und Hausschlachtung Selbstversorger. Spitzenreisende sind in dieser Zeit mit Pferd und Kutsche zur Kundschaft gefahren, das war auch eine Möglichkeit entsprechende Warenmengen mit sich zu führen. Am Wochenende war dann im Schwanhof Fuhrparkpflege.
1896 verstirbt Wilhelm Niderehe kinderlos im Alter von 56 Jahren, im Jahre 1909 stirbt Louis Niderehe im Alter von 64 Jahren. Carl Niderehe und Frau Lina Niderehe, Witwe des Louis Niderehe, bestimmen nun das Geschick der Firma Niderehe.
Carl Niderehe war ganz auf die Zusammengehörigkeit der Fa. Stephan Niderehe & Sohn und den Familiennamen Niderehe geprägt, so dass er nun nach einer Unternehmensform suchte, die auch in Zukunft den Familiennamen sicherte und die Möglichkeit der Partnerschaft für mehrere Familienzweige suchte. Er erkannte, dass eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter Beibehaltung des alten Firmennamens die geeignete Unternehmensform für die Zukunft sein müsste.
So wurde also am 8. August 1911 vor dem Notar im Bezirk des königlichen Oberlandesgerichtes Cassel erklärt, dass die Firma Stephan Niderehe & Sohn nunmehr als GmbH weitergeführt werden sollte. Die ersten Gesellschafter waren: Carl Niderehe, Lina Niderehe, Wilhelm Niderehe und Heinrich Niderehe.
Die Herren Wilhelm Niderehe und Heinrich Niderehe wurden zur Leitung der Gesellschaft als Geschäftsführer bestimmt. Zu Beginn des Weltkrieges 1914 / 1918 sind sie als Geschäftsführer ausgeschieden.
Durch den Krieg und durch die Inflation hatte auch die Firma Stephan Niderehe & Sohn GmbH zu leiden, es gelingt jedoch allen Stürmen der Zeit zu trotzen und den Betrieb weiter zu führen und sogar auszubauen. Es wurden die Damen Lina Niderehe und Anna Niderehe, die Witwe von Herrn Carl Niderehe, zu neuen Geschäftsführen bestellt. Frau Anna Niderehe verstarb jedoch kurz darauf, so dass Frau Lina Niderehe die Geschicke der Firma zunächst alleine leitete. 1918 wurden Herr Wilhelm Niderehe und 1923 Herr Heinrich Niderehe — der 1937 verstorben ist — wieder zu Geschäftsführern bestellt.
1929 wird Herr Ludwig Niderehe — der Sohn von Frau Lina Niderehe — zu einem weiteren Geschäftsführer bestellt. Frau Lina Niderehe wurde dafür Prokuristin. Bis zum ihrem Tod im Jahre 1942 leitete sie dann zusammen mit Herrn Wilhelm Niderehe und ihrem Sohn Ludwig, der 1943 zum alleinigen Geschäftsführer bestimmt wurde, die Geschicke der Firma.
Bei Kriegsende 1945 wird der gesamte Betrieb durch die amerikanische Besatzungsmacht beschlagnahmt. Die Fabrikation wird zunächst eingestellt und später unter Treuhänderschaft des Herrn Rechtsanwaltes Steffen unter dem Namen „Marburger Tabakfabrik“ eines Zwangspächters bis zum 24. März 1948 weitergeführt. Ein anderer Teil der Betriebsstätten wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht genutzt, ein weiterer Teil wurde von ihr an verschiedene gewerbliche Mieter vermietet.
Am 24. März 1948 fand die erste Gesellschafterversammlung nach dem 2.Weltkrieg statt und die Fa. Stephan Niderehe & Sohn GmbH übernahm wieder die Firma. Die Gesellschafter zu dieser Zeit waren die Damen Luise Niderehe, Dorothea Niderehe und Johanna Koenig, sowie die Herren Ludwig Niderehe und Dr. Walter Koenig. Zu Geschäftsführern wurden die Herren Fritz Schotte und Heinz Noll bestellt. Zur Prokuristin wurde Frau Luise Niderehe bestellt. Herr Ludwig Niderehe wurde am 21. Oktober 1948 zu einem weiteren Geschäftsführer bestellt.
Die Aufnahme der Fertigung von Rauchtabak erfolgte nach der Rückgabe des Betriebes an die Firma Stephan Niderehe & Sohn GmbH am 1. August 1948. Die Kautabakherstellung wurde wegen des stark rückläufigen Verlaufs in den 3 Westzonen nicht wieder aufgenommen.
Die gesamte Einrichtung des Betriebes an Maschinen und Mobilien war am Tag der Übernahme stark mitgenommen. Erhebliche Reparaturen und Neuanschaffungen an Maschinen mussten durchgeführt werden. Ein Teil der Fabrikationsräume blieb weiterhin vermietet.
Der Wettbewerb gegenüber der immer mehr vordringenden Zigarette und das Übergewicht inländischer Großkonzerne und ausländischer Fabrikate ließen die Weiterführung des Betriebes in den Jahren 1954/1955 nicht mehr ratsam erscheinen. Auch war der Markt in der DDR, und in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches weggebrochen.
Zum 31. Dezember 1956 wurde dann die Fertigung von Rauchtabak endgültig eingestellt. Diese Entscheidung ist von den Gesellschaftern schweren Herzens beschlossen worden, endete doch eine fast 140-jährige Familientradition.
Teil 2 – Stephan Niderehe & Sohn GmbH – Vermietung und Verwaltung
Die Gesellschafter beschlossen jedoch die Fa. Stephan Niderehe & Sohn GmbH weiterzuführen. Der Zweck war nun die Verwaltung und Vermietung der Gebäude des Schwanhofs und deren Erhaltung.
Bis 1964 schieden mehrere Gesellschafter aus der Firma aus. Ab diesem Zeitpunkt leiteten dann die Herren Prof. Dr. Ing. Walter Koenig und Dr. med. Walter Niderehe als alleinige Gesellschafter die Geschicke der Firma Stephan Niderehe & Sohn GmbH.
Herr Dr. med. Walter Niderehe verstarb 1973, Herr Prof. Dr. Ing. Walter Koenig verstarb 1989.
Danach wurde die Gesellschaft von 2 Erbengemeinschaften geleitet, die 2008 aufgelöst wurden. Die Anteile der GmbH wurden an einzelne Gesellschafter – die weiterhin den beiden Familien Niderehe und Koenig angehören – übertragen.
Geschäftsführer der Fa. Stephan Niderehe & Sohn GmbH sind zur Zeit Herr Tuna Arici und Frau Sonja Smaczny.
Angaben zur denkmalgeschützten Gesamtanlage „Schwanhof“
Die bauliche Anlage „Schwanhof“ ist gemäß § 2 Abs.1 Hessisches Denkmalschutzgesetz (HDSchG) ein Kulturdenkmal. Außerdem ist sie Teil der Gesamtanlage „Südviertel“ gemäß § 2 Abs.2 HDSchG und unterliegt somit den Schutzvorschriften des HDSchG § 9.
Die heute noch vorhandenen Gebäude entstammen folgenden Zeitepochen:
Renaissance: Giebelständige Gebäude an der Straße Schwanallee – 1. und 2. Hälfte des 16.Jahrhunderts; nördliches Gebäude um 1540, südliches Gebäude um 1590. Ursprünglich waren die Fassaden nicht verputzt und verschiefert, sondern entsprechend der Epoche als Sichtfachwerk ausgeführt. Im Innenhof sind die Fassaden 2003 und 2005 wieder freigelegt.
Barock-Biedermeierzeit: Traufständige Gebäude an der Straße Schwanallee zwischen sowie nördlich und südlich der giebelständigen Gebäude – Ende 17. Jahrhundert, ca.1690 bis Anfang 19. Jahrhundert, ca. 1830. Ursprünglich ebenfalls Sichtfachwerk; in der Biedermeierzeit verputzt und neue Dachkonstruktion im Stil dieser Zeitepoche.
Gründerzeit: Gebäude, die das Geviert nach Norden, Süden und Westen abschließen – 1875 bis 1910, Einrichtung der Tabakfabrik. Das äußere Erscheinungsbild ist wie zur Erbauerzeit erhalten.
1920: Das Fachwerkgebäude im Innenhof wurde 1920 erbaut.
Von 2000 bis zum heutigen Tag sind umfangreiche Renovierungs- und Umgestaltungsmaßnahmen im Schwanhof mit Hilfe der Universitätsstadt Marburg durchgeführt worden:
- Baufällige Baracken im Innenhof sind abgerissen worden, der daraufhin komplett umgestaltet wurde.
- Parkflächen wurden geschaffen und eine Parkraumbewirtschaftung eingeführt
- Die Fachwerkfassaden zum Innenhof hin sind restauriert worden.
- Die Räumlichkeiten sind renoviert und auf einen neuen Standard gebracht worden.
- Div. Versorgungsleitungen — Heizung, Wasser, Abwasser, Elektro — sind erneuert worden.
- Die Beheizung der Liegenschaft wurde der Stadtwerke Marburg GmbH im Rahmen eines Wärmelieferungsvertrages übergeben.
- Renovierung und Umgestaltung des Fachwerkgebäudes im Innenhof
- 2018 wurde der Brandschutz durch eine Brandmeldeanlage der neuesten Generation mit teils funkgeführten Meldern ausgebaut und eine moderne Schließanlage installiert.
Insgesamt hat die Fa. Stephan Niderehe & Sohn GmbH seit dem Jahr 2000 mehr als 2,5 Millionen Euro in die Erhaltung und Ausbau des historischen Schwanhofs investiert.
Weitere Bauvorhaben sind in Planung:
- Renovierung der Außenfassaden zur Schwanallee
- Weitere Verbesserung der Infrastruktur